Benni krallte seine Finger in die knorrige Rinde und wippte auf und ab, bereit zum Sprung. Der Wind wühlte in dem Baum, und ein Donner rollte durch die Dunkelheit, laut genug, um einen Riesen zu wecken.
Der höchste Ast winkte ihm zu, fast zum Greifen nah. „Spring, verdammt noch mal, spring endlich! Lass los!“
Er blinzelte in den blitzdurchzuckten Himmel. Dann ließ Benni los. Freihändig stand er da, die Arme ausgebreitet, unter sich den schwarzen Abgrund. Regen schlierte in seinen Augen, vermischt mit Tränen, vielleicht. Wie hatte er sich so verarschen lassen können? Dieses verdammte unsichtbare Band, von dem seine Mutter immer schwärmte, war eine Fessel, die zerschnitten werden musste.
Benni schrie in den Sturm. Das Gewitter antwortete mit einer Windböe, die ihn fast in die Tiefe gefegt hätte. Er ging in die Knie, die Oberschenkel gespannt, beugte sich nach vorne, nahm die Hände nach hinten, um Schwung zu holen. „Der Teufel kann dich mit nichts verführen, was du nicht schon hast“, hatte ihm Fortuna gesagt, damals, als sie den Stechapfeltee getrunken hatten. Höllentrip.
Drei … zwei … eins … Jetzt musste es sein!
„Benni!“
Er kam aus dem Gleichgewicht, ruderte mit den Armen und griff im letzten Moment nach einer Rindenwulst. Der nächste Blitz erhellte die Lichtung. Tief unter ihm spurtete Tommi über die Wiese, dahinter Fortuna, und dann kam Hartwig aus dem Unterholz gehumpelt. Erstaunlich, wie schnell sie ihn gefunden hatten.
„Komm da runter!“, rief Hartwig.
„Pack den Pimmel ein!“, schrie Fortuna.
Erst jetzt bemerkte Benni, dass er nackt war. Sofort spürte er den Regen auf der Haut, den Wind, die Wut, die Freiheit. Wie im Rausch hatte er den Baum erklommen, auf halber Höhe seine Klamotten ausgezogen und in die Finsternis geschleudert, sich von aller Last befreit.
Tommi war fast da. „Ich komm rauf!“
Aber Benni wollte nicht, dass ihn jemand rettete. Dieser Moment war sein Moment, diese Entscheidung war seine Entscheidung, dieses Leben war sein Leben. Über ihm peitschte der Wipfel im Wind, sirrte, lockte, drängte.
Spring!
„Halt dich fest!“
Gleich würde Tommi unter der Baumkrone verschwinden. Der Stamm war glitschig, schwankte im Sturm, und die Äste standen weit auseinander. Es gab nur einen sicheren Weg nach oben, und Tommi kannte diesen Weg nicht. Er würde in eine Sackgasse klettern, abrutschen, fallen. Benni musste sich beeilen.
Erneut ging er in die Knie, fixierte den Ast, den höchsten Ast des Baums, holte Schwung und überlegte, wie der ganze Mist begonnen hatte. Mit Hartwigs dämlichem Märchenbuch? Der abrasierten Augenbraue? Der Odenwaldschule? Seltsam, dass es so schwierig war, den Anfang zu finden.
Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen
Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.